Ambossfabrikation - Versuch einer historischen Rekonstruktion

3. Dezember 2021 um 22:33
Guten Abend zusammen,
ich arbeite zur Zeit an einer wissenschaftlichen Arbeit über Ambosse und ihre Herstellung. Dabei manifestiert sich immer mehr das Vorhaben, die verschiedenen Herstellungsverfahren auch zu rekonstruieren, um somit bislang nur archäologisch, schriftlich oder bildlich greifbare Methoden ausführlich dokumentiert zu erproben und noch einmal zum Leben zu erwecken.
Ziel ist, so nah wie möglich an der historischen Verfahrensweise zu arbeiten. Das ist natürlich ein für Einzelpersonen unmögliches Projekt, von daher würde ich hier gerne einmal sondieren, ob es gewillte Interessenten gibt, die an einem solchen Werk mitwirken möchte.

Keine Angst, es folgt jetzt kein Link zu einem Spendenkonto, vielmehr schwebt mir die Gründung eines Arbeitskreises vor, in dem jeder Fachwissen, Kontakte etc. einbringen kann, um am Ende ein Stück weit Technikgeschichte zum Leben zu erwecken.
Hier rekonstruieren ja viele historisches Werkzeug, haben Kontakte zu Museen usw.
In den nächsten Wochen werde ich hier einmal die geplanten Projekte mit grob umrissenen Details einstellen, hier ein Beispiel:
Frühe Industrialisierung, 2. Hälfte 18. Jhd., Amboss von ca. 80kg Gewicht:
  • Noch direktreduziertes Eisen, ggf. sogar durch Frischverfahren gewonnen, je nach Möglichkeit
  • Verarbeitung des Materials unter dem Wasserhammer/ Wasserhämmern
  • Finale Verschweißung in Handarbeit
  • Wärmebehandlung nach historischem Vorbild, z.B. in fließendem Gewässer
  • Feilen in Handarbeit, ggf. Schleifen am Sandschleifstein
Ein Mammutprojekt, aber vielleicht gibt es ja Leute, die sich die Mitarbeit an einem solchen Vorhaben vorstellen können. Bis so etwas realisiert ist, vergehen sowieso Jahre, aber den Austausch kann man ja schon jetzt beginnen.
Viele Grüße
Julian
4. Dezember 2021 um 16:50
hallo Julian,
cooles Projekt - hast Du schon mal daran gedacht, Jörg Refflinghaus mit einzubeziehen? Dort könnte man das Projekt evtl. auch umsetzen. Bin selber noch nicht da gewesen, aber es soll eine coole historische Ambossschmiede sein!
klick hier auch auf Seite 2 scrollen, da sind noch mehr Bilder!
Gruß DerSchlosser
Ein Hoch dem ehrbaren Schmiedehandwerk!
Zuletzt bearbeitet: 4. Dezember 2021 um 16:55, Martin Hartung / DerSchlosser
5. Dezember 2021 um 03:42
Julian,

das ist in der Tat ein Mammutprojekt! Ich bin nicht sicher, dass Du das nebenberuflich realisieren kannst.
Mal ganz überschlägig kalkuliert, brauchst Du für einen 80 kg-Amboss vermutlich handwerklich hergestelltes Eisen im Gewicht von etwa 110 kg. Schweißverluste ca. > 25 %. Für die Herstellung des Rumpfes - etwa 50 kg - brauchst Du große Hämmer. Die Kelten konnten per Handarbeit nur Ambosse bis zu etwa 18 kg machen!

Wenn Du keinen holzkohlebetriebenen Hochofen aus der Zeit um 1750 bauen willst, musst Du das Eisen wohl im Rennofen herstellen. Wirkungsgrad ca. 32 %, wenn alles gut geht. Über den dicken Daumen brauchst Du dann 330 kg hochwertiges Eisenerz und ca. 400 kg gute, gleichmäßig dimensionierte Holzkohle.

Wenn Du Refflinghaus fragst, warum er keine Ambosse mehr von Hand macht, wird er Dir sagen, dass es für das Verschweißen der Stahlplatte fünf (in der Ambossherstellung) erfahrene Männer braucht. Die gibt es aber nicht mehr! Die letzte Verschweißung ist damals (wohl um 1976) als Demonstration gemacht worden, und mein Lehrmeister war dabei und berichtet noch heute begeistert (aber auch eingeschüchtert von der gewaltigen Strahlungswärme!) davon!

Zudem braucht man die Infra-Struktur einer Ambossschmiede: Laufkatze an der Decke, große Schmiedegebläse, den Bach hinter einem Schieber usw.

Nach der Herstellung muss der Amboss meist gerichtet und gefräst/geschliffen werden. Das willst Du nicht mit Handhammer und Feile machen!

Wenn Du das aber im Kleinen mal versuchen willst, empfehle ich Dir den Kontakt zu Joey van der Steeg: [email protected]. Der ist nett und geradezu fanatisch dabei, genau das zu machen! Schau auch mal bei YouTube unter seinem Namen! 

Für mich als Praktiker gibt es noch ein Argument, nicht in diesen Dimensionen zu arbeiten: Modernere Ambosse sind recht gut und haben meist weniger Defekte!

Freundliche Grüße

Jean

P.S. Ich schmiede auf einem handgefertigten Amboss mit ca. 285 kg
Zuletzt bearbeitet: 5. Dezember 2021 um 03:49, Jean Collin
5. Dezember 2021 um 18:18
Guten Abend,
danke für die vielen Hinweise! Für dieses Projekt ist es wichtig zu wissen, dass hier der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn im Vordergrund steht. Wenn ich einfach nur einen Amboss haben möchte, kaufe ich mir einen.
Und gerade wegen des Umfanges des Vorhabens suche ich Interessierte, die sich beteiligen möchten. Wenn z.B. zehn Leute Eisen produzieren, sieht die Sache wieder anders aus.
Zu Herrn Refflinghaus habe ich bereits Kontakt wegen der Arbeit hergestellt, dieses Projekt aber noch nicht angesprochen. Joey van der Steeg hat auf meinen Kontaktversuch nie reagiert, vielleicht versuche ich es noch einmal.
Viele Grüße!
8. Dezember 2021 um 03:17
Nun ja,

damit hast Du es dann noch etwas leichter als die Pyramidenforscher.....

Freundliche Grüße

Jean
9. Dezember 2021 um 16:10
damit hast Du es dann noch etwas leichter als die Pyramidenforscher.....

Da ist die Sache doch klar, das waren die Außerirdischen!
10. Dezember 2021 um 01:11
Nee, ich meinte, dass man die dann auch in Originalgröße nachbauen müsste wegen des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns.....

Aber in Wirklichkeit bewundere ich Dein großes Engagement und freue mich bereits auf Deine Veröffentlichung der Ergebnisse! Wie sagt doch der Franzose: Think big!

Freundliche Grüße

Jean
Zuletzt bearbeitet: 10. Dezember 2021 um 01:11, Jean Collin